Zu den Liedern

 

L.v. Beethoven: siebte Symphonie, Bearbeitung des zweiten Satzes

Zart kommt Ludwig van Beethovens oft als Trauermarsch missdeuteter zweiter Satz der siebten Symphonie daher. Er ist vielmehr eine trancehafte Prozession, die der schweizerische Musikwissenschaftler Karl Nef mit dem  rhythmisch gleichbleibenden Schreiten in einem Terzett aus Beethovens einziger Oper „Fidelio“ vergleicht. An dem Stoff Fidelio reizte den Komponisten vor allem das politisch-menschliches Freiheits-Ethos. Im zweiten Akt weisen Florestans Worte „Euch werde Lohn in bessern Welten, der Himmel hat Euch mir geschickt“ auf Beethovens Vision einer zukünftigen, aufgeklärten bürgerlichen Gesellschaft im Sinne der französischen Revolution.

 

One

Zahlreiche Deutungsmöglichkeiten birgt der 1991 auf dem Album „Achtung Baby“ veröffentlichte Song „One“, Variationen, die sich auch in seiner Aufführungspraxis spiegeln: Auf der Tour 2001/02 lief eine Namensliste der Opfer der Anschläge vom 11. September 2001 über den Bildschirm, 2005 richtete sich in gleicher Form die Aufmerksamkeit auf jene, die die Kampagne „One – Campaign to make poverty history“ unterstützten, in der sich U2 neben Projekten wie „amnesty international“, „Greenpeace“ oder „The Chernobyl Children's Project“ engagiert. 2006 fand der Song über das EinsSein trotz des Sich-nicht-Gleichens Gehör auf einer Benefizveranstaltung zugunsten der Opfer des Hurrikans „Katrina“. Der eindringliche Appell „We get to carry each other“ verweilt nicht bei nur einem Bezug, sondern erhebt als Aufruf universalen Anspruch.

 

King of Pain

Sting schilderte die Entstehung des Songs „King of Pain“ vor einem sehr persönlichen Hintergrund – der Trennung von seiner Frau. Im Liedtext setzt er Symbole des Schmerzes wie z.B. „there’s a butterfly trapped in a spider’s web“ in Bezug zur Beschaffenheit seiner Seele „that’s my soul up there“. Individuelles Leid spiegelt sich im Leiden der Welt, deren Herrschaft schließlich der „King of Pain“ in seinem Schicksal verantwortet. Die Single-Auskopplung aus dem fünften Album „Synchronicity“ bildete den Abschluss der Zusammenarbeit von Sting mit seiner Band The Police.

 

Bruttosozialprodukt

Als in den späten 70er Jahren des letzten Jahrhunderts die Studentenbewegung schwächer, die Ökologiebewegung und die Friedensbewegung stärker wurden, entstanden die grüne Partei und die  Tageszeitung TAZ. Auf einem Sampler für die TAZ erschien 1978 die erste Aufnahme von "Bruttosozialprodukt" von Friedel Geratsch. Erst 1983 mit der zwischenzeitlich neu formierten Gruppe "Geier Sturzflug" wurde das Lied zum Hit und Gassenhauer. Heute kennt es immer noch jeder, auch die Politöne - es hat nichts an Aktualität eingebüßt!

 

Millionär

Nach dem Fall der Mauer 1990 erkundeten die Prinzen aus Leipzig (Thomanerchor) und Dresden (Kreuzchor) die neuen Möglichkeiten, unterstützt von Annette Humpe als Produzentin (vormals Ideal). Sie stiegen mit ihren deutschen Texten schnell in die erste Liga des deutschen Pop auf. Ihr Lied von der alten Traumfigur des Millionärs erschien auf ihrem ersten Album 1991, von dem über 1,2 Millionen Exemplare verkauft worden sind.

 

 

 

Es macht gar nichts aus

It don't mean a thing, if it ain't got that swing - was wollen uns diese Worte aus dem Klassiker von Duke Ellington aus dem Jahr 1932 eigentlich sagen über die Musik? Es macht nichts, wenn sie keinen Swing hat? Oder: Sie bedeutet nichts, ist wertlos, wenn sie keinen Swing hat? Die Politöne haben sich jedenfalls für die erste Variante entschieden, bringen aber - wie immer - außer Musik noch ein bisschen Politik mit hinein und singen nun im besten Jobcenter-Jargon: Es macht gar nichts aus, fliegst du aus dem Job raus!

 

Levantate

Das Lied "Levantate" des chilenischen Musikers Victor Jara ist eines der chilenischen Widerstandslieder der 60er Jahre mit deutlicher Parteinahme für die Sache des Volkes gegen die Macht und Willkür der Reichen. Das Lied zeigt Anklänge zum "Vater Unser" und ist ein Aufruf an die Bauern, sich zum Widerstand zu erheben. Victor Jara wurde 1973 im Alter von 35 Jahren zu Beginn der Militärjunta ermordet.

 

Grandola

Die genaue Übersetzung des Liedes lautet:

Grandola, braune Stadt, Ort der Brüderlichkeit. Das Volk hat wieder zu bestimmen in Dir, Du Stadt. An jeder Ecke steht ein Freund, Gleichheit in jedem Gesicht, Grandola, braune Stadt, Ort der Brüderlichkeit. Im Schatten einer Eiche, die schon ihr Alter nicht mehr wusste, beschwor ich zur Genossin Grandola, Deine Kraft.

Mit dem dreimaligen Abspielen des vorher verbotenen Liedes wurde in der Nacht vom 25. April 1974 das Zeichen gegeben, mit dem die portugiesische Revolution, die sogenannte „Nelkenrevolution“, ausgelöst wurde. Seither wird dieses Lied als Symbol dieser Bewegung angesehen.

 

Bürgerlied

Das „Bürgerlied“ entstand im Elbinger Bürgerverein im Mai 1845, also knapp drei Jahre vor der Märzrevolution von 1848. Damals wurde gefordert, dass die bürgerlichen Rechte und Freiheiten, nämlich die Gleichheit aller, unabhängig von Stand, Beruf, Kleidung und so weiter in der Verfassung verankert werden sollten. Die Melodie des Liedes ist mehrfach recycled, geht auf ein altes Volkslied aus dem ausgehenden 17. Jahrhundert zurück und wurde dann bekannt mit dem Text zu Prinz Eugen. Musikalisch ist das Lied für ein deutsches Volkslied ungewöhnlich, da es im Fünfertakt steht.

 

Kinderhymne

Bertolt Brechts 1949 geschriebene Kinderhymne „Anmut sparet nicht noch Mühe“ hat es in sich. Sie lässt sich nicht nur zu allen deutschen Hymnenmelodien, Eislers DDR-Hymne, Haydns Kaiserhymne (der aktuellen Nationalhymne) und Beethovens „Ode an die Freude“ singen, sie ist auch ein unmissverständliches Gegenlied zum Deutschlandlied. Während im Deutschlandlied einst noch „Von der Maas bis an die Memel“ und „Von der Etsch bis an den Belt“ marschiert wurde, weist Brecht Großdeutschland charmant, aber bestimmt in seine historischen Schranken: „Von der See bis zu den Alpen; Von der Oder bis zum Rhein.“

Und auf das folgende „Deutschland, Deutschland über alles in der Welt“ antwortet er am Ende seiner Hymne mit einer Zurücknahme: „… und das liebste mag’s uns scheinen, so wie anderen Völkern ihrs.“ Hätte nicht dieser Text unseren Nachbarn wie Polen und Frankreich während der deutschen Vereinigung Ängste vor einem zu starken Deutschland nehmen können?

 

 

 

Trizonesien-Song

1948 entstand der Karnevalsschlager „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“, der zeitweise auch als „Nationalhymnen-Ersatz“ herhalten musste, so z.B. beim Sechs-Tagerennen in der Kölner Sporthalle 1949.,

Die drei Westzonen wurden im Volksmund Trizonesien genannt, daher der Titel.

Dieser Schlager war äußerst populär, er kam schnell in die Rundfunkwunschlisten und erlangte einen hohen Bekanntheitsgrad. Er traf offenbar auf eine bestimmte Bedürfnislage des Publikums nach dem Krieg.

In scheinbar harmloser Gestalt lustiger Musik präsentieren sich allerdings Abgründe von Ignoranz und Unverständnis, wenn man sich den Text einmal näher ansieht.

 

„… die alten Zeiten sind vorbei, ob man da lacht, ob man da weint“. Die alten Zeiten, der Faschismus, sind vorbei, sind zu vergessen und zwar von allen Trizonesiern, seien es Nazis gewesen, Mitläufer oder Leute im Widerstand. Die deutsche Vergangenheit soll verdrängt werden.

 

Ganz schlimm aber kommt es dann mit dem Refrain: „ …Wir sind zwar keine Menschenfresser, doch wir küssen umso besser“. Nachdem Millionen Menschen durch die Deutschen umgebracht wurden, wird bierselig und unerträglich verharmlosend davon gesungen, dass man kein Menschenfresser sei…

 

Weiterhin schlimm der hochmütige Hinweis an die Adresse des „fremden Mannes“, dass in Sachen Kultur und Geist den Deutschen keiner etwas vormachen kann, hatten sie doch Goethe und Beethoven.

 

Sag Nein

Konstantin Wecker sagte 1993 zu seinem Lied selbst: „Ich denke, in einer Zeit, in der ein deutscher Bundeskanzler zu feige und zu arrogant ist, um bei einer Trauerfeier zu erscheinen, nämlich in Solingen, aus Angst vor deutschen Eiern und aus Angst rechte Wähler zu verlieren – in einer Zeit, in der all die Politiker, die diese schrecklichen Brandstifterklima seit Jahren mit angeheizt haben, nichts anderes tun, als schleimig von ihrer Betroffenheit zu sabbern und Grundgesetzte zu ändern – in einer solchen Zeit ist es notwendig, solche Lieder zu singen, und ich werde es auch weiterhin tun.“

 

What I am

Die aus dem 1988 erschienenen Debüt-Album “Shooting Rubberbands at the Stars” ausgekoppelte Single “What I am” war in den USA der ausgehenden 80er ein Top-Ten-Hit. Edie Brickell und die New Bohemians verteidigen in diesem Song das Recht zu sein, wer man ist – „What I am is what I am“ – indem sie eine Entsagung von philosophischer und religiöser Tiefe legitimieren.

 

Not an Addict

Als eine Beschreibung des Rausches aus der Perspektive einer Süchtigen wirft der Song „Not an Addict“ ohne erhobenen Zeigefinger einen veränderten Blick auf Abhängigkeit. Der Widerspruch im Songtext – „I’m not an addict“ und „The deeper you stick it in your vein, the deeper the thoughts“ – offenbart sich im Zuhören allein und thematisiert den Selbstbetrug in der Sucht „It’s not a habit, it’s cool, I feel alive“ ohne moralischen Aufwand. K’s Choice stellten den Song an den Anfang ihres 2. Albums „Paradise in Me“ von 1996, die Single eroberte nach Europa auch in den USA und Australien die Charts.

 

 

Big Yellow Taxi

Joni Mitchell bringt in ihrem Song „Big Yellow Taxi“ unseren Umgang mit der Umwelt zur Sprache, ein Thema, das seit den 1980er Jahren in den Vordergrund getreten ist: Das Paradies ist zugepflastert, die Bäume stehen im Museum, für die dann die Menschen Eintritt zahlen müssen, um sie sehen zu können. Farmer, schmeißt das DDT weg und lasst meine Äpfel, die Vögel und Bienen am Leben! Erst wenn es vorbei ist, erkennst du den Wert, so ist es auch, wenn dein Freund die Tür hinter sich zugeschlagen hat und mit dem gelben Taxi davonfährt!

 

I Ain't Afraid

Unter dem Eindruck der Ereignisse des 11.9.2001 schrieb die amerikanische Sängerin und Liedermacherin Holly Near das Lied "I ain't afraid" - Ich habe keine Angst. Keine Angst vor Jahwe, Allah oder Jesus, keine Angst vor der Thora, der Bibel oder dem Koran, doch ich fürchte mich vor dem, was ihr jetzt im Namen eures Gottes tut. Die Klezmer-Gruppe "The Klezmatics" hat dieses Lied in ihr Repertoire aufgenommen und ihre Tournee von 2003 unter ein Motto aus diesem Lied gestellt: RISE UP free from fear. Einige von uns haben damals das Gastspiel im Marburger Kfz miterlebt.

Holly Near war übrigens in der Theatersaison 1969/70 als Einundzwanzigjährige im Ensemble der Broadway-Produktion des Musicals Hair dabei, und hat danach als Friedensaktivistin mit Jane Fonda, Pete Seeger, Arlo Guthrie, Inti Illimani, Mercedes Sosa, Joan Baez, Phil Ochs, Harry Belafonte und vielen anderen zusammengearbeitet.

 

My City of Ruins

Im Sommer 2002 veröffentlichte Bruce Springsteen zusammen mit der E-Street-Band ein neues Studioalbum “The Rising” – seine Auseinandersetzung mit den Anschlägen auf das World-Trade-Center in New York. Den letzten Song des Albums „My City of Ruins“, in dem Springsteen Verfall und Vereinsamung eines Ortes seiner Kindheit Asbury Park, New Jersey besingt, wählte er für den Auftritt bei einer Benefizveranstaltung zu Gunsten der Opfer des 11. September 2001 aus und richtete damit die Worte des Gospels „I pray for the strength, Lord, I pray for the faith, Lord, we pray for your love, Lord“ als Botschaft an New York und die USA.

 

Everybody hurts

Auf dem 1992 enstandenen Album „Automatic for the People“ beschwören R.E.M. in der Pop-Ballade „Everybody hurts“ all jene, die ihr Bewusstsein für den Wert des eigenen Lebens zu verlieren drohen, sich nicht allein zu fühlen „you’re not alone“ und durchzuhalten „hold on“. „Everybody hurts sometimes“ – der Schmerz gehört zu jeder Biographie, damit aber auch das Wissen um seine Endlichkeit. Ein politisches Feed-back erhielt der Song 2001 in den Statuten des US-Bundesstaates Nevada, mit der Anerkennung R.E.M.s, gegen die Selbstmordrate Jugendlicher anzusingen.

 

Aquarius

Das Stück "Aquarius" aus dem Musical "Hair" steht für die Protest- und
Friedensbewegung der Flower-Power Generation in den USA der 60er Jahre
und richtet sich gegen das Establishment und den Vietnam Krieg.
Sinnbildhaft dafür wurde in diesem Lied das beginnende Zeitalter des
Wassermannes angesehen, dem Liebe, Frieden und Wahrheit zugeordnet wurden.